OSTASIEN Verlag
  Kontakt
  Reihen
  Zeitschriften
  Gesamtverzeichnis
  Impressum
   
 
Revolutionäre Jugend
 
   
Drei Gedichte  
   
(3)
 
   
„Wir sind nicht schuld“ 我们无罪 (1979)[1]
 
   
von Zhang Liaoliao 张寥寥
 
   
   

Wir, diese Generation junger Leute
– wie abzugrenzen? –
zwischen 20 und 30
sind schon arm dran.

Missgestaltet, anormal
verzeiht bitte –
vor zehn Jahren
waren wir noch Kinder und Jugendliche,
wurden selbst
durch der Häuptlinge Fleischwolf gedreht,
bis heute
blieben am Körper
uns die Narben der Schande.

Als sich die Teufel
noch das Gesicht verschleierten,
fielen wir auf sie rein,
selbst betrogen
fluchten wir mit,
verloren aber
unsere Begeisterung,
unsere Ideale,
unsere aufrichtige Unschuld.

Unsere Träume
rissen wir uns aus den Herzen,
warfen sie auf die Straße,
wie sie in alter Zeit aus den Waisenhäusern
die toten Babies hinausgeschmissen haben.

Wir pflügten, pflanzten, schufteten,
rotteten uns grölend zusammen,
und zu jeder Zeit war uns dabei
vom Gesicht bis ins Herz
immer eiskalt;

selbst in der Liebe
voller Verdacht und Furcht
hatten wir Angst, dass wir ungewollt
die Trauer in unseren Herzen zeigen könnten,
hatten wir Angst, dass uns der andere
verraten würde –
die Herzen wie Steine am Meer
düster und schwer.

Wer unter unseren
Brüdern und Schwestern
aufzuschrein wagte,
wurde von jenen schmutzigen Händen
in die Hölle gezerrt,
und deren Salzgeruch
kam nicht von Meerwasser,
sie trieften vom Blut,
vom Blut der Jungen,
und dieser Salzgeruch
hängt uns für immer im Herzen.

Warum muss man
diesen elenden Fusel trinken,
das Gesicht starr wie ein Schwachsinniger –
weil dieser
schwachsinnige Junge
tief in der Seele
die Saiten Wahr, Gut, Schön geborgen hatte,
und eine jede ist ihm
zersplittert worden,
als die Wagen zur Hinrichtung vorbeifuhren
im nach Blut stinkenden Regen.

Als die aufgehäuften Bücher
brannten,
wären wir lieber
Analphabeten gewesen,
um von der Menschen Kultur
nichts mehr zu verlangen,
weder laut noch im Herzen,

wenn wir nur
Kleidung hatten, um den Leib zu decken -
aber im Speicher des Geistes
fanden wir keine
Hose,

sie hatten das Leben verändert,
und für uns
hatten sie keine Wärme,
sie hatten nur Eis.
Wir hatten an Eis
gar kein Interesse;
sie hießen uns
für den Preis einer Daunenfeder
einen Menschen töten,
und sie ließen uns noch
für die Schale einer Knoblauchzehe
herauszerren
und hastig erschießen.

Der Welt gegenüber
haben wir nichts.
Ja,
das einzige, was uns
die vergangenen zehn Jahre
dreitausendsechshundertundfünfzig Chaostage gebracht haben,
das ist,
dass wir nicht mehr an morgen glauben.
Rotzt auf unsere Leiber!
Wir tragen auf den Schultern
die ganzen zehn Jahre
den Abfall der Gesellschaft.

Ja,
einmal wurden uns
freundliche Lieder
in die Ohren geflötet,
wie wenn in einer schon lange verschimmelnden Brust
ein großes Feuer entfacht wird;
wir
waren gerührt;
aus Augen, die schon so viel gesehen hatten,
quollen die Tränen.

Diese Tränen waren keinen Pfennig wert,
aber
damit zahlten wir wirklich
den aus größter Tiefe kommenden Preis.

Errichtet in hundert Jahren
dieser unserer Generation ein Denkmal
und kerbt darauf ein:
„Wir hatten keine Schuld,
auch wir hassten
unsre untätigen Körper.“
Menschen der Zukunft,
wenn ihr uns verflucht,
weil wir euch
nichts hinterlassen haben:
im Jenseits verfluchen wir das
genauso wie ihr,
auch wir verabscheuen
unseren
Irrweg;
das ist für diese unsere Generation
der einzige
lobenswerte
blutige, tränenreiche
leere Ruhm.

Epilog

Seit zehn Jahren
träum ich davon, mir ein Gewehr zu besorgen,
um die „Menschen“ umzulegen,
die die Seelen der Jungen erdrosselt haben;
jetzt träum ich noch immer von einem Gewehr,
zerschlagen will ich damit, was uns nicht loslässt
seit einem Jahrzehnt,
die dunklen Schatten.

[1]    Originaltitel: „Women wuzui“ 我们无罪. Den Originaltext des Gedichts hat Zhang Langlang auf seiner Website unter //blog.sina.com. cn/s/blog_ 54ea5d9e0100hfg8.html aufgenommen.

 
—> Inhaltsverzeichnis